Mindsets und Hamlet
Deliberative Mindsets werden ausgelöst, wenn Personen das Für und Wider schwieriger Entscheidungen abwägen, aber auch, wie sich in unseren Experimenten gezeigt hat, wenn man literarische Texte liest, die diesen Prozess widerspiegeln. Implementelle Mindsets werden ausgelöst, wenn man konkret plant, wie man getroffene Entscheidungen verwirklichen kann (und auch wieder einfach durch Lesen entsprechender Texte).
In einem Experiment haben wir Mindsets erzeugt, indem wir Teilnehmern einen Monolog aus Shakespeares Hamlet zu lesen gaben.
Für das deliberative Mindset war der Text:
Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –
Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ’s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben – schlafen –
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:
Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,
Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte
Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,
Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen.
Für das implementelle Mindset war der Text:
Ha, welch ein Esel bin ich! Trefflich, brav,
Daß ich, der Sohn von einem teuren Vater,
Der mir ermordet ward, von Höll und Himmel
Zur Rache angespornt, mit Worten nur,
Wie eine Hure, muß mein Herz entladen
Und mich aufs Fluchen legen wie ein Weibsbild,
Wie eine Küchenmagd!
Pfui drüber! Frisch ans Werk, mein Kopf! Hum, hum,
Ich hab gehört, daß schuldige Geschöpfe,
Bei einem Schauspiel sitzend, durch die Kunst
Der Bühne so getroffen worden sind
Im innersten Gemüt, daß sie sogleich
Zu ihren Missetaten sich bekannt,
Denn Mord, hat er schon keine Zunge, spricht
Mit wundervollen Stimmen. Sie sollen was
Wie die Ermordung meines Vaters spielen
Vor meinem Oheim: ich will seine Blicke
Beachten, will ihn bis ins Leben prüfen;
Stutzt er, so weiß ich meinen Weg. Der Geist,
Den ich gesehen, kann ein Teufel sein;
Der Teufel hat Gewalt, sich zu verkleiden
In lockende Gestalt, ja, und vielleicht,
Bei meiner Schwachheit und Melancholie,
Da er sehr mächtig ist bei solchen Geistern,
Täuscht er mich zum Verderben. Ich will Grund,
Der sichrer ist. Das Schauspiel sei die Schlinge,
In die den König sein Gewissen bringe.
Doerflinger, J. T., & Gollwitzer, P. M. (2020). Emotion emphasis effects in moral judgment are moderated by mindsets. Motivation and Emotion, 1-17.
Die Publikation ist im Rahmen des BMBF-geförderten Projektes "Modellprojekt eines bioethischen Diskurses zur Personalisierten Onkologie" (DisPersOnk, Fzk //01GP1775//) entstanden und stellt wesentliche Ergebnisse dieses interdisziplinären Modellprojektes vor. Wir danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die gewährte Unterstützung, die die Durchführung dieses Projektes ermöglicht hat.