Immanuel Kant: Philosophie nach dem Weltbegriffe
a) Philosophie ist ... das System der philosophischen Erkenntnisse oder der Vernunfterkenntnisse aus Begriffen. Das ist der Schulbegriff dieser Wissenschaft. (...) Was aber die Philosophie nach dem Weltbegriffe betrifft, so kann man sie auch eine Wissenschaft von der höchsten Maxime des Gebrauches unserer Vernunft nennen. sofern man unter Maxime das innere Prinzip der Wahl unter verschiedenen Zwecken versteht.Denn Philosophie in der letzteren Bedeutung ist ja die Wissenschaft der Beziehung aller Erkenntnis und alles Vernunftgebrauches auf den Endzweck der menschlichen Vernunft, dem, als dem obersten, alle anderen Zwecke untergeordnet sind und sich in ihm zur Einheit vereinigen müssen. Das Feld der Philosophie in dieser weltbürgerlichen Bedeutung lässt sich auf folgende Fragen bringen:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
4. Was ist der Mensch?
Die erste Frage beantwortet die Metaphysik, die zweite die Moral, die dritte die Religion und die vierte die Anthropologie. Im Grunde könnte man aber alles dieses zur Anthropologie rechnen, weil sich die drei ersten Fragen auf die letzte beziehen.
Der Philosoph muss also bestimmen können
1. die Quellen des menschlichen Wissens
2. den Umfang des möglichen und nützlichen Gebrauchs alles Wissens, und endlich
3. die Grenzen der Vernunft. -
b) Das letztere ist das nötigste, aber auch das schwerste, um das sich aber der Philodox nicht
bekümmert. Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen:
1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
Die erste Frage ist bloß spekulativ. Wir haben (wie ich mir schmeichele) alle möglichen Beantwortungen derselben erschöpft und endlich diejenige gefunden, mit welcher sich die Vernunft zwar befriedigen muss und, wenn sie nicht aufs Praktische sieht, auch Ursache hat, zufrieden zu sein: wir sind aber von den zwei großen Zwecken, worauf diese ganze Bestrebung der reinen Vernunft eigentlich gerichtet war, ebenso weit entfernt geblieben, als ob wir uns aus Gemächlichkeit dieser Arbeit gleich anfangs verweigert hätten. Wenn es also um Wissen zu tun ist, so ist wenigstens soviel sicher und ausgemacht, dass uns dieses in Ansehung jener zwei Aufgaben niemals zuteil werden könne.
Die zweite Frage ist bloß praktisch. Sie kann als eine solche zwar der reinen Vernunft angehören, ist aber alsdann doch nicht transzendental, sondern moralisch. Mithin kann sie unsere Kritik an sich selbst nicht beschäftigen.
Die dritte Frage, nämlich: wenn ich nun tue, was ich soll, was darf ich alsdann hoffen? ist praktisch und theoretisch zugleich, so dass das Praktische nur als ein Leitfaden zur Beantwortung der theoretischen und, wenn diese hoch geht, spekulativen Frage führt.
Denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit und ist in
Absicht auf das Praktische und das Sittengesetz eben dasselbe, was das Wissen und das Naturgesetz in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Dinge ist. Jenes läuft zuletzt auf den Schluss hinaus, dass etwas sei (was den letzten möglichen Zweck bestimmt), weil etwas geschehen soll, dieses, das etwas sei (was als oberste Ursache wirkt), weil etwas geschieht.